…ist Gisela – nach meiner Patentante, die als jüngere Schwester meines Vaters auch meine echte Tante ist.
Eine vielseitig interessierte, kreative, sportliche und toughe Frau – Pferdeliebhaberin „schon immer“, studierte sie zunächst an der legendären Folkwang-Schule in Essen (Neid…) und startete dann in ihr unlangweiliges Leben. Sie illustrierte Pferdebücher, ritt erfolgreich Turniere, bildete Reiter aus, züchtete Pferde, war lange eine international geachtete Dressurrichterin. Zwischendurch ging sie der Liebe wegen nach Irland und blieb auch dort, nach der Heirat kamen eine Tochter und ein Sohn, der Mann starb viel zu früh, so daß sie den ganzen Rest als treibende Kraft quasi allein hinbekommen musste und auch hinbekam, bis hin zum Aufbau des heutigen Familien-Anwesens nicht weit westlich von Dublin.
Ich habe Gisela von klein an nahezu verehrt, brachte sie mir doch so viele spannende Dinge bei, die meine Eltern – eher Stadtmenschen – nicht wussten oder konnten. Wie man ohne Sattel reitet. Wie man vom Pferd fällt und direkt wieder aufsteigt. Wie man ein Pferd richtig putzt. Wie man einen Bernhardiner von Zecken befreit. (Igitt.) Wie man eine Hasselblad bedient. Wie man beim Fotografieren und Malen mit Licht und Farben spielt. Wie man Pferde zeichnet. Unzählige solcher Dinge… Immer habe ich sie fröhlich, liebevoll und offen erlebt, und gleichzeitig konnte sie beruflich mit den Männern sehr klar und „bossy“ reden – mühelos emanzipiert könnte man es nennen. Sie war halt wirklich eine ziemlich tolle Frau, meine Tante, schon immer.
Auf dem Foto oben war sie 25 und ich keine 1, geknipst wurde es im Mai 1960 im Garten meiner Oma. Und jetzt ist Gisela 88 und sitzt im Rollstuhl – und es ist buchstäblich zum Weinen, wenn ein so reiches, selbstständiges und stets meinungsstarkes Leben in solche Hilflosigkeit übergeht.
Auch meine unvollständige Liebeserklärung hier bekommt sie leider nicht mit, aber vorgestern bei ihrem Geburtstag hatte ich das Gefühl, sie hat nicht nur meine Hand erstaunlich fest gedrückt, sondern mich wirklich angesehen.
Wie schön das Wissen wäre, daß sie sich tatsächlich über mein Kommen gefreut hat… Denn darum ging’s.
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Für mich gehört es zu den schwersten Nebeneffekten des Alterns, dass man sich sukzessive von den Menschen verabschieden muss, die einen jahrzehntelang begleitet und geprägt haben.
Ja. <3
Ich verstehe Dich gut. Auch wenn meine Mutter keine so bemerkenswerte Frau war wie Deine Patentante, hat sie ihr Leben nach meiner Geburt als Alleinerziehende mit 3 Kindern tapfer gemeistert. Und so war es sehr schwer, mitanzusehen, wie sie langsam dement und hinfällig wurde. Von ihrer Persönlichkeit musste ich mich schon länger allmählich verabschieden, bevor sie die letzten 9 Monate ihres Lebens im Rollstuhl im Pflegeheim verbrachte und am 7. Juni mit 92 Jahren starb.
Altwerden ist nichts für Weicheier… :-/ Ich versuche, den Fokus auf die Dankbarkeit zu legen, das ganze Gute in ihrem Leben miterlebt zu haben.
Umarmung!
Aber sie hatte dieses spannende, erfüllte, selbstbestimmte Leben. Das ist doch das Wesentliche. Und wahrscheinlich zehrt sie in ihrem Inneren immer noch davon. Das ist doch schön, auch wenn für die anderen vllt jetzt die Trauer überwiegt. Mir scheinen diese „Tanten“, unverheirateten Fräuleins und Nenn-Tanten schon immer, und immer noch, wichtig für die positive Charakterbildung von Mädschen zu sein. Die schon vor 80 Jahren unverheiratet mit irgendwelchen „Künstlern“ zusammen gelebt haben … Wie sagte „Tante“ Cilly [aus dem Hause Klosterfrau] noch im hohen Alter „Das ist mein Verlobter; mehr als mein Verlobter.“
Auch ein guter Aspekt.
Ach – deine Gisela hätte ich gerne gekannt. Sie ist genau so alt wie meine Mama (die ja auch nur 18 Jahre älter ist als ich), die vieles, zu dem sie fähig und talentiert war (Musik, Malen, Dichten etc) nicht beruflich machen konnte, weil wir 3 Kinder eben da waren – aber dadurch immer eine interessante und sprühende Person war. War – denn sie ist beginnend dement. Und wohnt zu meinem großen Glück seit Donnerstag in St Raphael! Und ja, vieles ist daran traurig – aber auch sehr beglückend! Direkt und echt, kein Larifari mehr! Alles Gute deiner Tante Gisela!