Kürzlich veröffentlichte „Der Freitag“ ein Interview von Jakob Augstein mit der taz-Ökonomin und -Autorin Ulrike Herrmann. Die ich persönlich für eine wichtige Denkerin in unserer aktuellen Lage halte.
Und sie, Jahrgang 1964, hat jüngst ein Buch über „Das Ende des Kapitalismus“ geschrieben, in dem sie u.a. sagt: nur eine „Kriegswirtschaft“ kann die CO₂-Emissionen rasch senken. Im Gespräch mit Jakob Augstein erklärt sie, wie das gemeint ist, und da ich nicht weiß, wie lange dieser Beitrag ohne Bezahlschranke zu lesen ist, bringe ich hier einige Zitate aus dem Interview, die ich wichtig finde.
Grünes Wachstum wird immer noch propagiert, weil die Wähler an diese bequeme Illusion glauben wollen: Alles kann bleiben wie bisher, man muss nur Gas, Kohle und Öl durch klimaneutrale Energien ersetzen.
Vollbeschäftigung kann es nur geben, wenn neue Branchen entstehen.
(Beispiel) Computer: Er wurde 1945 erfunden, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber erst heute, 75 Jahre später, sind wir eine digitalisierte Gesellschaft. Die Klimakrise lässt uns jedoch nicht genügend Zeit, um jahrzehntelang auf Innovationen zu warten. Wir können nur die Technik einsetzen, die wir schon haben.
Wenn wir weitermachen wie bisher, besteht die reale Gefahr, dass sich die Erde bis 2100 um sechs Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erhitzt. Das wäre eine völlig andere Welt, wie die Rückschau zeigt: In der Eiszeit war Berlin unter einer 500 Meter dicken Eisschicht begraben, obwohl die globale Durchschnittstemperatur damals nur sechs Grad niedriger lag als heute. Schon wenige Grad verändern also alles.
(Beispiel Kernenergie) Die 423 Reaktoren weltweit produzieren nicht so viel Strom, wie Christian Lindner denkt. Sie decken nur zehn Prozent des globalen Stromverbrauchs.
Gemeint ist (mit „grünem Schrumpfen“) unter anderem: Kein Fliegen mehr, weder Kurz- noch Langstrecke, weil Öko-Kerosin wahnsinnig viel Energie braucht und dafür der grüne Strom nicht reichen wird.
Ich sage ja nicht, dass wir auf das technische Wissen von 1978 zurückfallen sollen – sondern nur auf den Energieverbrauch. … Eine Krebstherapie verbraucht übrigens nicht viel Energie. Ganz im Gegensatz zu zwei Tonnen schweren Autos, die im Schnitt 1,3 Personen transportieren. Das ist totale Verschwendung, auch mit E-Motor. Auf private PKWs müssen wir verzichten.
(Werden alle aus der Automobilindustrie arbeitslos?) Nein. Allein der Klimaschutz wird wahnsinnig viel Arbeit machen: Unter anderem müssen Windräder installiert, Gebäude gedämmt und Wärmepumpen eingebaut werden.
… in der Geschichte gibt es ein gutes Beispiel für eine kapitalistische Wirtschaft, die vom Staat geschrumpft wurde, ohne dass Chaos oder Stalinismus ausgebrochen wären. … In dieser Situation blieb (den Briten) nur noch eins: Sie mussten ihren normalen Konsum reduzieren, um die Fabriken freizuräumen für die Produktion von Militärgerät. Das wurde schnell umgesetzt, nicht in Jahrzehnten. Damals ist in Großbritannien ein ganz neues Wirtschaftssystem entstanden: eine demokratische, private Planwirtschaft, in der die Manager ihre Unternehmen zwar weiter eigenständig führten, der Staat aber vorgegeben hat, was noch produziert werden darf.
Das erste Gut, das in Deutschland rationiert werden wird, ist Wasser. … Das Bemerkenswerte ist: Immer, wenn ein existenzielles Gut knapp wird, interessiert sich niemand mehr für Markt, Preise und Wettbewerbsmechanismen – sondern dann rufen alle nach dem Staat!
(Verzicht ist möglich?) Es gibt eine sehr intelligente Studie des Umweltbundesamtes: Da hat man repräsentative Haushalte befragt, wie viele Sachen sie haben. … heraus kamen 10.000 Gegenstände. Anschließend wurden die Leute gefragt, wie viel sie davon im Alltag benutzen. Und da landete man dann bei 5.000 Gegenständen, also der Hälfte.
Ich bin Journalistin, ich habe die Freiheit, ganz nüchtern zu analysieren, welche Klimapolitik funktionieren würde. Es wäre fatal, wenn man nur noch denken dürfte, wofür es bereits politische Mehrheiten gibt. Dann könnte man das Denken komplett einstellen … Fortschritt wäre dann überhaupt nicht mehr möglich.
Kluge Gedanken, auch wenn ich meine Zweifel daran habe, daß diese Idee des notwendigen Verzichts auf allen Ebenen genug Freunde finden wird. Aber – wer weiß?!
Hier geht es übrigens zum Buch. (Und nein, das ist keine bezahlte Werbung! Das ist, was mich derzeit umtreibt.)
Das Bild zeigt Ulrike Herrmann auf dem Klimamontag in Berlin am 3. Mai 2021 | Foto: Stefan Müller
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