Als ich circa zehn war, lag in unserer Wohnung zwischen Küche und Bad ein langer Flur. In dem stand das Telefon mit extralanger Schnur und an der Wand war die von meinem Vater gebaute Garderobe mit aufgeklebten Pril-Blumen, daran unser aller Mäntel.
Lebensmittelpunkt im Alltag war die große Küche, darin auch die in den 1960-ern so beliebte Eckbank samt Tisch und Stühlen. Hier wurde gegessen, gelesen, gespielt – und Maniküre betrieben. Und immer, immer wurde ich als „die Große“ geschickt, um die Nagelschere aus dem Bad zu holen. Das hat mich wohl geärgert.
Denn irgendwann begann ich, jedesmal, wenn ich mit dem Scherchen an ihm vorbeikam, in den Plastik-Regenmantel meiner Mutter einen Schnitt am Saum zu machen. Wie eine Strichliste, aber mit der Schere. Und da er ein Pepitamuster hatte und ich stets fein säuberlich am Farbwechsel einschnitt, hat es erstaunlich lange gedauert, bis sie es gemerkt hat. Und dann war aber was los.
Donnerwetter. Neuer Regenmantel.
Und ich holte weiter die Schere.
Dieser kleine Text zu einer wahren Geschichte entstand als erste Fingerübung für den Instagram-Account @1000Zeichen. Leider haben sie ihn nicht genommen… Aber ich will ihn nicht für den Papierkorb geschrieben haben, also steht er jetzt hier.
Ich denke an dieser Stelle mal liebevoll an den Originalschauplatz, die „Villa Elisabeth“ in der Kaiser-Friedrich-Allee – ich habe dort meine weitestgehend glückliche Jugend verbracht. (Jemand mit mangelndem Stilempfinden hat die Schieferschindeln des ursprünglich dunklen Erkers im ersten Stock weiß überpinselt, urgs, aber ich denke, man spürt trotzdem ein bißchen was von der verwinkelt-verwunschenen Atmosphäre dieses so gar nicht 08/15-mäßigen Altbaus…)
Die besagte Küche ist übrigens hinter dem großen Rundbogenfenster.
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