…ist die Neugier größer als die Eitelkeit.“

Dieser höhöhö-witzig gemeinte Tweet eines erstaunlicherweise nicht ganz 30-Jährigen holte für mich – zack – Jahre wieder ins Bewußtsein, wo Begriffe wie Brillenschlange als Schmähung gegen Frauen gebräuchlich waren… Der Typ kann diese Zeit gar nicht miterlebt haben und sogar ich bin dafür noch zu jung, denn meine erste Brille bekam ich mit 15 Jahren, also 1974. Da wurde gar nicht mehr so viel über Mädchen mit Brille gelästert – jedenfalls nicht an meinem Mädchengymnasium – und es gab schon schicke schmale Metallgestelle in der damals so angesagten Pilotenbrillenform… Wie schön, daß mein Vater den historischen Moment mit unseren ersten Brillen auf der Nase (meine kleine Schwester war direkt mit „dran“) sogar dokumentiert hat.

Ich kann mich nicht erinnern, je darunter gelitten zu haben, eine Brille zu brauchen. Mein Astigmatismus erfordert das nun mal und mein Beruf setzt erst recht ein scharfes Auge voraus. Bis in meine Dreißiger musste ich sie auch gar nicht ununterbrochen tragen, sondern nur beim Arbeiten, Lesen, Nähen und anderem Gefrickel, doch irgendwann ging es los, daß ich sie immer öfter und dann immer trug. Dabei wäre mir nie in den Sinn gekommen, stattdessen auf Kontaktlinsen auszuweichen – zu groß mein Widerwille gegen das Gefühl, einen Fremdkörper im Auge zu haben.

Von Anfang an habe ich meine Brille(n) als Accessoire gesehen, als eine Art Ergänzung für meine Außenwirkung, als Möglichkeit, das zu betonen, was ich gerne sein wollte… Und in den Anfängen meiner Selbstständigkeit war sie zum Beispiel mein Schutzschild in Kundenpräsentationen, besonders, wenn ich reinen Männergremien gegenüberstand. Diese gefühlte Schutzfunktion hat sie auch in meinen zwanzig Jahren ohne einen verläßlichen Partner an meiner Seite oft übernommen, bei Einladungen, Vernissagen, Vorträgen, Festen – bei vielem, wo ich alleine hinging. Und immer schon habe ich mir gewünscht, für jede Laune und jeden Einsatzfall eine andere Brille zu haben – doch je Gleitsicht, desto unbezahlbar.

Klar, manchmal ist sie störend. Bei Regen – sie wird nass! Beim Wechsel vom kalten Draußen nach drinnen – sie beschlägt! Beim Lesen oder Fernsehen im Bett – der Bügel drückt hinterm Ohr! Beim Küssen – zieh sie einfach aus! Zum Glück gibt es für all diese Problemchen Lösungen und gute Ideen, wie zum Beispiel die Reißverschlußtasche im Ärmel meiner Softshell-Jacke, wo ich sie bei Regen unbeschadet verstauen kann, sei es auf dem Fahrrad oder auf dem Weg zu Fuß in die Stadt… Und auch mein „Sport“ ist ja mehr ein Geschicklichkeits-Spiel mit Spazierengehen, da kann ich gut eine Brille tragen. Muss ich auch, weil ich sonst nicht gut genug sehe, wo der kleine weiße Ball landet.

Auch im Brillen-Design hat sich ja so enorm viel getan, es gibt irre viele wunderschöne Brillen, ich könnte mich jede Woche mindestens einmal in noch ein weiteres Modell verlieben. Auf dem Boden der Realität hingegen erfüllt mir meinen Wunsch nach ab und zu „anderer“ Brille seit einigen Jahren perfekt ein cleveres Model mit Wechselbügeln, denn immerhin die kann ich nach Lust und Laune wechseln – das ist großartig, denn so verarme ich nur im kleinen Maßstab, indem ich mir öfter mal neue Bügel zulege…

Inzwischen brauche ich meine Brille natürlich ununterbrochen und da finde ich es richtig toll, daß sie für mich nie etwas Ungeliebtes war. Und Neugierde, Du junger Twitterer mit Deinem ach so witzigen Tweet, sollte jeder von uns immer haben, denn ohne sie wäre das ganze Leben langweilig! Und man bliebe ziemlich dumm.

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