Beeindruckt und auch irgendwie irritiert verließ ich nach 92 intensiven Minuten das Kino, in dem ich mir zusammen mit einer lieben Freundin „Anselm – das Rauschen der Zeit“ von Wim Wenders angesehen habe.

So viel Poesie und Grobheit in einem Film. So viel Bezauberung, Staunen und Fremdheit. Ich bin verliebt in die versteinerten Frauenkleider, ich bin fasziniert von den Turmbauten auf dem Freigelände, ich staune darüber, wie man so grob, groß und voller brachialer Gewalt Kunst entstehen lässt… Wie ein Mann nicht nachlässt in seinem Zorn über Nazi-Deutschland und ein Mahner und Ankläger bleibt, anscheinend ein Leben lang. Ich bewundere das, es ist ganz sicher kein bequemes Leben, vor allem innen drin nicht.
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Als ich Anselm Kiefer beim Arbeiten zugucke, bei diesem Hantieren mit unfassbar riesigen Leinwänden voller aufgebrachtem Material, das verbrannt und gelöscht und übergossen und was weiß ich wird, da entstehen Bilder und Gefühle in mir, wie ich sie zuletzt beim Lesen von Christoph Ransmayrs „Morbus Kitahara“ hatte – so habe ich mir die Landschaft vorgestellt, in der der Roman spielt. Und ich bewundere, wie der Ausnahme-Künstler anhand eines kleinen Fotos – während der Arbeit immer auf der Rückseite angeheftet – die verstörende, desolate, brutale, niemals gemütliche Atmosphäre nachbaut, die er sich beim Fotografieren wahrscheinlich schon vorgestellt hat.

Ich gebe zu, Anselm Kiefer ist derjenige seiner Künstlergeneration, mit dem ich mich bisher am wenigsten beschäftigt hatte. Doch jetzt? Jetzt würde ich am liebsten sofort nach Barjac in Frankreich fahren und mir dieses unglaubliche Gelände der Eschaton-Anselm Kiefer Foundation selbst ansehen.

Fotos: Anselm © 2023, Road Movies/photograph by Wim Wenders

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